Das Recht der Kinder und Jugendlichen auf Berücksichtigung ihrer Meinung gilt auch und besonders in Krisenzeiten und Notsituationen
Die weltweite CoVid-Pandemie stellt eine Notsituation dar, die immer wieder neue Maßnahmen zur Eindämmung erforderlich macht. Im steten Wechsel zwischen restriktiven Maßnahmen und lokalen Lockerungen wächst nur langsam ein Bewusstsein dafür, in welchem Ausmaß die getroffenen Maßnahmen nicht nur tief in das Alltagsleben von Kindern und Jugendlichen eingreifen, vielmehr auch explizit deren Recht auf Schutz vor Gewalt, Spiel und Freizeit, Bildung und Gesundheit einschränken.[1]
Von welchen Rechten sprechen wir?
Die Rechte der Kinder und Jugendlichen sind in verschiedenen Menschenrechtsverträgen geregelt. Darüber hinaus sind sie aber auch in einer eigenen, gesonderten Konvention der Vereinten Nationen, der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) festgeschrieben. Die Kinderrechtskonvention legt die Rechte aller Menschen von 0 bis 18 Jahren fest und umfasst damit auch alle Jugendlichen. Darüber hinaus ist die Konvention der weltweit von den meisten Ländern anerkannte Menschenrechtsvertrag und in Deutschland seit 1992 gültig.
Vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls
Mit der Ratifizierung der UN-KRK hat sich die Bundesregierung verpflichtet, „Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen (…) das Wohl des Kindes (…) vorrangig zu berücksichtigen.“ Das bedeutet, das überall dort, wo Kinder und Jugendliche von Entscheidungen betroffen sind, spielt das Kindeswohl für das Treffen dieser Entscheidungen eine wesentliche Rolle.
Diese Berücksichtigung von Kindeswohl hat zwei Voraussetzungen:
- Es besteht Bewusstsein über die Auswirkungen von politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen auf das Wohl von Kindern und Jugendlichen.
- Die Perspektive der Kinder und Jugendlichen fließt in Entscheidungen mit ein (durch Beteiligung und Einbindung).
Sprich: Um Kindeswohl zu sichern, gilt es auch zu verstehen, was mit Kindeswohl gemeint ist. Denn: entgegen der landläufigen Annahme ist „Kindeswohl“ nicht die persönliche Auffassung darüber, „was gut für Kinder ist“, vielmehr wird Kindeswohl entlang der Rechte der Kinder ermittelt . Dazu braucht es den Dialog mit Kindern und Jugendlichen.
Die aktuelle Situation legt hier den Finger in die Wunde: Maßnahmen zum Eindämmen der Corona-Viren-Verbreitung wie Schulschließungen, geänderte Kita- und Schulkonzepte o.Ä. offenbaren die faktische Machtlosigkeit von Kindern und Jugendlichen. Maßnahmen und Verordnungen wollen schnell und effektiv beschlossen werden. Kinder und Jugendliche bleiben von deren Aushandlung ausgeschlossen. So einleuchtend und pragmatisch notwendig dieses Vorgehen erscheint, offenbart es doch, dass Kinder und Jugendliche nicht als Träger eigener Rechte, sondern allererst als Objekte von Schutz und Fürsorge wahrgenommen werden.
Nichts für uns, ohne uns – Kinder und Jugendliche an Entscheidungen beteiligen
Die UN-Kinderrechtskonvention sichert Kindern und Jugendlichen das Recht zu, „sich eine eigene Meinung zu bilden [und] diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern“ und fordert darüber hinaus die Vertragsstaaten auf „die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife zu berücksichtigen.“[2] Das ist mit Blick auf die vergangenen Monate erwähnenswert, da bei den getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie die Perspektiven und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen nur unzureichend berücksichtigt werden konnten.
Dabei beschränkt sich Partizipation nicht allein auf ein „Einholen oder Abfragen“ der Meinung, sondern verlangt darüber hinausgehend die Anerkennung der Alltagsbedürfnisse der Kinder und Jugendlichen. In der Anerkennung der Alltagsbedürfnisse liegt der Schlüssel für eine gemeinsame Entwicklung anschlussfähiger Maßnahmen.
Ein außer Acht lassen der Perspektiven der Kinder und Jugendlichen ist auch deshalb folgenreich, da die derzeitigen Maßnahmen eine nicht unerhebliche Anzahl von Kinderrechte selbst betreffen, beispielsweise das Recht auf Spiel und Freizeit,[3] das Recht auf Versammlungsfreiheit,[4] Das Recht auf Bildung und Entwicklung,[5] das Recht auf Diskriminierungsfreiheit,[6] Das Recht auf Gesundheit[7] sowie das Recht auf Schutz[8] selbst betreffen.
Beteiligung braucht Information
Wir sind der Überzeugung: Wer mitbestimmen will, muss urteilen können, wer urteilen will, muss sich eine Meinung bilden können und um sich eine Meinung bilden zu können, muss man Bescheid wissen. Einer angemessenen Beteiligung um Schutzmaßnahmen geht allererst eine kindgerechte Information[9] voraus.
Deswegen plädieren wir für mehr niederschwelligen Zugang zu Informationen für Kinder und Jugendliche über ihre Rechte. Artikel 17 der UN-Kinderrechtskonvention betont die Verpflichtung, Kinder und Jugendliche umfänglich und verständlich zu informieren. Die Information bezieht sich nicht allein auf eine Transparenz des Geschehens (bezüglich der CoVid-Pandemie zB Gefährdungsrisiken, Maßnahmen, damit verbundene Ziele) sondern inkludiert auch Informationen über Unterstützungs- und Hilfsangebote. Dabei ist sicherzustellen, dass diese Informationsangebote die Kinder und Jugendlichen auch tatsächlich erreichen.
Im Rahmen des Landesprogramms Kinderrechteschulen NRW entwickeln wir deswegen einen digitalen Jugendcheck für Kinderrechte, der jetzt schon als Prototyp zur Verfügung steht und der unter Einbezug von Kindern und Jugendlichen angepasst wird. Hier können Kinder und Jugendliche als Rechteinhaber*innen, sowie auch ihre Eltern, Lehrer*innen und Ansprechpersonen als Pflichtenträger*innen, sich über die verbrieften und staatlich zugesicherten Rechte informieren.
Information ist der erste Schritt zur Partizipation. Mehr dazu im Jugendcheck.
Autorin:
[1] Spätestens die Copsy Studie hat die mit den Restriktionen einhergehenden Rechtsverletzungen der Kinder und Jugendlichen deutlich vor Augen geführt.. Vgl: https://www.uke.de/kliniken-institute/kliniken/kinder-und-jugendpsychiatrie-psychotherapie-und-psychosomatik/forschung/arbeitsgruppen/child-public-health/forschung/copsy-studie.html
[2] UN-KRK Artikel 12 Berücksichtigung des Kindeswillens.
[3] Art.31 UN-KRK
[4] Art.15 UN-KRK
[5] Art.28 UN-KRK
[6] Art.2 UN-KRK
[7] hier psychosoziale Gesundheit: Art.24
[8] hier Schutz vor häuslicher Gewalt: Art.15 UN-KRK )
[9] Artikel 17 UN-KRK