Seit 2017 arbeitet unsere Kollegin Kara Zumbrink für EDUCATION Y beim OECD-Bildungsprojekt „The Future of Education and Skills 2030“ mit – zusammen mit ca. 200 Teilnehmer*innen aus über 40 Mitgliedsstaaten, die in unterschiedlichen Arbeitsgruppen mehrfach im Jahr (digital) zusammenkommen. Beobachter*innen der UN und der EU sind involviert.
Der ‚Lernkompass‘ ist das Ergebnis der ersten Arbeitsphase des OECD-Projekts. Mitte September dieses Jahres präsentierten die deutschen Partner des OECD Projekts die deutsche Übersetzung des OECD-Lernkompasses.
Liebe Kara, bevor du über eure weitere Arbeit im OECD Projekt und mit dem Kompass erzählst, vorab zur Klarstellung: Was ist der Lernkompass und was soll er leisten?
Kara: Der Kompass dient einerseits als Metapher für den inneren Kompass, den die Schüler*innen heute benötigen, um sich in einer zunehmend globalisierten, komplexen und schnell verändernden Umwelt zurechtzufinden. Er verdeutlicht, dass es vermehrt auf Persönlichkeit, Resilienz, Entscheidungsstärke und ein stabiles Wertesystem ankommt, um individuelle und gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen.
Gleichzeitig soll der Kompass Ländern, ihren Bildungssystemen und Schulen ein Referenzsystem bieten, das sie ihren spezifischen Gegebenheiten anpassen können. Es ist ein Rahmenmodell, ein gutes Bild wie ich finde, das zeigt, wie Bildungssysteme aufgestellt sein können, um Schüler*innen auf die Herausforderungen einer globalen, digital geprägten Welt gut vorzubereiten.
Wie geht’s auf internationaler Ebene weiter?
Bisher standen die Schüler*innen im Mittelpunkt. Jetzt stellt sich die Frage, welche Implikationen das Modell auf pädagogischer Ebene hat. Dazu entwickeln wir in verschiedenen Arbeitsgruppen einen „teaching compass“. Auf politischer Ebene bedeutet das z.B. die Auseinandersetzung mit Fragen der Aus- und Weiterbildung von Lehrenden und auch mit Fragen curricularer Anpassungen.
In meiner Arbeitsgruppe geht es u.a. um die Frage der „teacher agency“: Welche Unterstützung benötigen junge Menschen, um zu selbstständigen und selbstbewussten Erwachsenen zu werden. Mit welcher pädagogischen Haltung sollten Lehrer*innen ihren Schüler*innen begegnen, um deren Transformationskompetenzen explizit zu fördern? Z.B. mit Konzepten wie Coach-Haltung, Beziehungslernen, Lernbegleitung usw.
Partizipation ist unabdingbar. Mitbestimmung und Verantwortungsübernahme, eine zentrale Transformationskompetenz, muss man lernen. Das wird einem nicht in die Wiege gelegt. Junge Menschen haben durch die UN-Kinderrechtskonvention das verbriefte Recht der Beteiligung und Mitbestimmung, an den wenigsten Stellen wird dieses Recht jedoch konsequent zur Verfügung gestellt. Welche Kompetenzen brauchen Lehrer*innen dazu? Wie soll ihre „agency“ aussehen? Was brauchen sie zum eigenen Wohlbefinden?
Nach der ersten Arbeitsphase kommen die Gruppen wieder zusammen, alles unter wissenschaftlicher Begleitung mehrere Unis.
Und in Deutschland? Was passiert nun mit dem übersetzten Kompass?
Wir, die zivilgesellschaftlichen Partner, das sind übrigens meine Kolleg*innen von der Bertelsmann Stiftung, Deutsche Telekom Stiftung, Global Goals Curriculum e.V. und von der Siemens Stiftung stellen den Kompass auf Veranstaltungen und in Fachartikeln vor. Es geht ja im ersten Schritt um die Bekanntheit. Zudem planen wir konkrete Formate für verschiede Zielgruppen.
Klar ist, der Kompass muss in die Praxis: Vor allem möchten wir Pädagog*innen und Schüler*innen einbinden, wie es international auch der Fall ist.
Solange der Kompass auf Offenheit trifft, ist es im Grunde egal, von wem er ins System getragen wird. Das können Eltern sein, einzelne Lehrkräfte oder die Schulleitung. Die Chance im Lernkompass liegt in der Möglichkeit, dass jede*r Einzelne*r ihn nutzen kann: Als Lehrer*in im Unterricht, als Schulleitung in der Gremienarbeit, als Schüler*in in der aktiven Nutzung der Mitbestimmungsrechte.
Was entgegnest du kritischen Stimmen?
Es gab und gibt natürlich kritische Stimmen, z.B. dass die Erkenntnisse und Konzepte nicht neu seien und es das alles in Deutschland bereits gebe. In der Tat sind die einzelnen Elemente wie Kompetenzorientierung oder Schüler*innen als Subjekt auch nicht neu.
Ich antworte gerne mit einer Gegenfrage: Warum steht Deutschland dann gerade in der Krise so dar? Mit immer mehr Kindern, die weiter abhängt werden? Da passt etwas nicht zusammen.
Der Lernkompass ist ein internationales Werk, das ins Deutsche übersetzt wurde: Es geht nicht darum, wieder etwas Neues einzubringen, das ist nicht die Intention. Sondern: Es ist ein Angebot, drauf zu schauen und zu überlegen, was davon können wir nutzen, wo stehen wir, was davon können wir adaptieren? Wie können wir vielleicht viele lose Enden zu einem stimmigen Bild zusammenfügen?
Beim Lernkompass geht es um das „Wellbeing“ von Schüler*innen. Welche Rolle sieht der Kompass für Kommunen, Stiftungen oder Unternehmen vor?
Der Lernkompass ist ein globales Werk – auf das man lokal schauen muss. Eine Kommune, die sich als Teil und in der Verantwortung für die Menschen sieht, die in ihr leben, kann sich fragen: Was können wir tun, um die „agency“ der Schüler*innen zu befördern? Kommunen, die auch inhaltlich gestalten und Einfluss nehmen wollen,
die in Zusammenhängen denken, können sich fragen: Wie kann ich in dem Konstrukt Schulen, einzelne Lehrende, Eltern stärken? Und da sind Kommunen, aber auch weitere zivilgesellschaftliche Akteur*inne gefragt.
Zu guter Letzt: Was ist deine Vision für den Lernkompass?
Meine Vision ist, dass alle, die in Schule arbeiten, immer die Schüler*innen im Fokus haben. Davon sollte ihr Handeln konsequent bestimmt sein. Wenn der Kompass dabei eine Hilfe ist, dann ist viel erreicht.
ZUM OECD-LERNKOMPASS GEHT ES HIER.
Das Interview führte:

