Krisenzeit ist auch Geständniszeit: auch ich habe in der Schulzeit abgeschrieben. Sogar ziemlich regelmäßig. Statt auf nachhaltigem Lernerfolg lag der Fokus eher auf effizienten Briefing- und Abschreibroutinen und der Formulierung halbkluger Antwortmodule zur ultrakurzfristigen Reproduktion. Besonders schlau war das alles somit nicht; aber ganz ok.
Ich höre mir wohl deshalb auch jetzt gern von unseren Kindern und Nichten die Abschreibgeschichten aus der Schule an. Ich kann feststellen: es wird noch immer abgeschrieben und Jungs schreiben scheinbar weiterhin häufiger von Mädchen ab als andersherum. Zudem hat Google die Expertise und das spezifische Wissen der Mitschülerinnen noch nicht ersetzen können.
In den letzten Wochen höre ich in den Erzählungen ein neues Muster heraus. Aus der Distanz und mit veränderten Präsentationserwartungen scheinen Abschreibroutinen aufzubrechen und auch die Interaktion der Mitschüler verändert sich. Statt des routinierten „Haste mal Mathe“ ist die Ansprache jetzt freundlicher und individueller. In der Krisenzeit entspinnt sich jetzt regelmäßig ein echter Austausch, der Erklärungen und Hinweise zum eigenständigen Lösen und tatsächlich auch gemeinsames Erarbeiten von Lösungen hervorbringt. Manchmal erfährt man auf diesem Weg auch etwas über den Mitschüler, mit dem man in der Schule bisher kaum drei Worte gewechselt hat. Wir werden sehen, was hiervon bleibt.
Mein persönlicher Disclaimer: Abschreiben ist und bleibt natürlich Mist (aka Selbstbetrug). Aber manchmal war das Anfertigen von schönen Kopien auch der Einstieg in die eigenständige und gemeinsame Kreativproduktion.
ZUM AUTOR
MAREK WALLENFELS
Sozialunternehmer aus Leidenschaft;
im Einsatz für Bildungsinnovationen und mehr Bildungsgerechtigkeit:
„Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist ohne faire Bildungs- und Aufstiegschancen nicht zu haben.“